Liebes Saarland und Rest vonne Welt,

Was ist das nur für ein Jahr. Es gibt so Momente, da schnürt es einem die Kehle zu und man ringt um jedes Wort. Es ist gerade 4:44 Uhr, der Hunger des Mini-T. hat mich vor einer Dreiviertel Stunde aus einem befremdlichen Traum gerissen, der mich nach der Raubtierfütterung nicht sofort wieder einschliefen ließ. Zur kurzen Ablenkung griff ich zum Handy, und las eine Nachricht, die mich jetzt erst recht nicht mehr schlafen lässt.

Eine geschätzte Kollegin, die ich zwar aufgrund der räumlichen Distanz nicht oft gesehen habe, mich aber umso besser mit ihr verstand, wenn wir uns denn gesehen haben, ist viel zu früh von uns gegangen. Sie hinterlässt ihren Mann und drei wundervolle Kinder, das jüngste gerade mal zwei Jahre alt.

Mir fehlen buchstäblich die Worte.

Nicht nur weil ich es schwer befremdlich finde, dass ich zum ersten Mal seit ewig langer Zeit mal wieder vom Unfalltod meines damaligen besten Freundes träume, um mehr oder minder just im gleichen Moment zu erfahren, dass eine Freundin viel zu früh verstorben ist, sondern vor allem, weil neben mir friedlich mein Zwerg schnarcht und es mein Herz zerreißt, zu wissen, dass in einem oberfränkischen Städtchen ein nur unwesentlich älterer Zwerg nie wieder von seiner Mama zu Bett gebracht wird. Ich vermag mir nicht vorzustellen, was die Familie gerade durch macht.

Wie gesagt, gesehen haben wir uns nicht wirklich häufig, aber einen „Pflichttermin“ gab es. Nämlich das große Bastelwochenende von Jenni, Kerstin und Heike, das auch dieses WE wieder stattfindet.

Während wir vor zwei Jahren dort zeitgleich schwanger die Füße im Vorraum hochlegten, banden wir uns letztes Jahr die Winzlinge ins Tuch und schleppten sie wieder mit. Es wird mir sehr schwer fallen, morgen ohne sie an dem Event teilzunehmen, nicht zuletzt weil die Knirpse inzwischen alt genug sind, dass sie hätten miteinander spielen können während die Mamas werkeln.

Es ist einfach nicht richtig. Und es gibt so unfassbar viel „nicht richtig“ auf dieser Welt.

Wie der ein oder andere vielleicht schon mitbekommen hat, arbeitet der beste Ehemann von Welt ja in einer Klinik, so dass er/wir in unserem Alltag immer wieder mit Schicksalen konfrontiert werden, die nicht richtig und nicht fair sind. Ob das viel zu früh verstorbene Mütter, Väter, Kinder, Neugeborene oder 70 Jahr verheiratete Eheleute sind, es tut einem jedes einzelne mal in der Seele weh, wenn man aus welchen Gründen auch immer ein wenig Hintergrundinformation hat. Manches beschäftigt einen länger, manches nicht so lang, manches kommt Jahre später wieder hoch und manches vergisst man auch tatsächlich.

Was aber bleibt, ist die tägliche Erinnerung, dass der Tod zum Leben dazu gehört und niemand weiß, wann es wen treffen kann. Nun hat man die Möglichkeit, es so weit wie möglich von sich zu schieben und, wie in den letzten Jahren in der „modernen Gesellschaft“ üblich, das Sterben mit allem was dazu gehört möglichst aus dem Alltag zu verdrängen und hinter die Türen von Kliniken zu verbannen, frei nach dem Motto „wenn ich dich sehe, siehst du mich auch nicht“, oder man lässt das Thema an sich ran, spricht auch mal offen darüber und macht es wieder zu einem normalen Bestandteil des Lebens, wie das früher der Fall war, als Menschen noch zu Hause im Beisein ihrer Liebsten aus dem Leben scheiden durften. Je normaler der Umgang mit dem Tod wieder wird, umso mehr verliert er auch von seinem Schreckensgesicht. Fair wird’s dennoch leider nie werden, aber vielleicht erträglicher.

Vielleicht ist das jetzt auch die Scrapbooking-Tante in mir, die jetzt spricht, aber ich für meinen Teil versuche, mich eher darüber zu freuen, dass jemand gelebt hat und die gemeinsamen Erinnerungen am Leben zu halten, und nicht so sehr, zu trauern, dass jemand verstorben ist. Da wären wir wieder bei Fotoalben, Leute macht Fotoalben, kein Fotomessitum auf Festplatten, sondern echte Fotoalben, mit Schrift, Text, Emotion und so…

Eine Lücke und viel Schmerz hinterlässt natürlich trotzdem jeder Todesfall, vor allem wenn er plötzlich und unerwartet kommt, und noch viel mehr, wenn es jemanden trifft, der aufgrund seines Alters oder seiner Situation einfach noch nicht auf der Liste hätte stehen dürfen, nichtsdestotrotz glaube ich aber fest daran, dass es einen Hauch weniger weh tut, wenn man zu Lebzeiten nichts „verpasst“ hat und den Hinterbliebenen eine Fülle schöner Erinnerungen bleibt, an denen sie sich festhalten können.

In diesem Sinne, geht zu euren Liebsten, seid ruhig traurig, aber vergesst dabei nicht, euch auch mal gegenseitig in den Arm zu nehmen, miteinander zu lachen und die Zeit, die ihr miteinander habt egal wie viel oder wenig, für euch wertvoll zu gestalten.

Und noch zum Schluss, weil es mir ein persönliches Anliegen ist, ja, ja Arztfrau und so …. plötzliche Todesfälle sind die eine schlimme Sache. Da wird man aber ob der Plötzlichkeit nicht gezwungen, sich im Vorfeld damit zu beschäftigen. Anders verhält sich das bei Krankheitsverläufen, bei denen abzusehen ist, wo die Reise hingeht. Wer sich ein wenig näher damit beschäftigen möchte, dem kann ich einen ganz frisch erschíenenen Lesetipp ans Herz legen:

Sven Gottschling, Prof. Dr. med. mit Lars Amend: Leben bis zuletzt: was wir für ein gutes Sterben tun können. Fischer. 2016.

Palliativmedizin führt nämlich leider immer noch ein ziemliches Nischendasein, bis hin zu dem Punkt, dass eine nicht unwesentliche Zahl an Menschen denkt, dass Palliativmedizin das selbe sei wie aktive Sterbehilfe und der Palliativmediziner quasi mit Überschreiten der Türschwelle den Giftkoffer zückt und dem Ganzen ein Ende bereitet. Seid versichert, dem ist nicht so.

Um an dieser Stelle eine kleine Anekdote vom Autor aufzugreifen: Das Wort Palliativ vom kommt vom lateinischen palla -ae, f. „1. Obergewand 2. Mantel“ bzw. pallium -i, n. „Mantel, Umhang“ und nicht etwa von pāla, ae, f. „1. Spaten, 2. Grabscheid“, wie ein Patient, seines Zeichens Lateinlehrer einst latent panisch herleitete. Das sind doch zwei sehr unterschiedliche Ansätze, ob man jemanden mit einem Mantel umhüllt oder aber tiefer gräbt.

So ihr lieben. Inzwischen ist es 7 Uhr, ich habe mir einiges von der Seele geschrieben, was zumindest mir immer ganz gut tut. Jetzt hoffe ich, dass mich der Zwerg noch ein Stündchen schlafen lässt und der beste Ehemann von Welt bald nach Hause kommt und statt weiterer Schreckensmeldungen vielleicht mal wieder was lustiges aus dem Dienst zu erzählen hat. Denn ja, sowas gibt es tatsächlich auch in dem Job.

Euch wünsch ich alles Gute und dass ich euch nicht zu sehr mit diesem Thema runtergezogen habe. Ich für meinen Teil freue mich auf ein kreatives Wochenende, das zwar mit einem deutlichen Kloß im Hals stattfinden wird, aber sicher nicht zur Trauergesellschaft werden wird, denn das wäre definitiv nicht im Sinne von Jael und ihrem Naturell gewesen.

Bye

Nadine